Als der Mongole Dschingis Khan im 12./13. Jahrhundert sein riesiges Reich eroberte, zeugte er mit zahllosen Frauen Kinder: Das war nicht zuletzt eine Frage des sozialen Status.
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Von dem berühmten Mongolenherrscher Dschingis Khan (1155/67-1227) sind verschiedene Selbstbetrachtungen überliefert. So bezeichnete er sich als „die Strafe Gottes“, die wegen ihrer „furchtbaren Sünden“ über seine Feinde gekommen sei. Auf die Frage, was er selbst dabei empfing, ließ er Gott allerdings aus dem Spiel: „Glück bedeutet, seine Feinde zu vernichten, sie ihres Reichtums zu berauben und auf den weißen Bäuchen ihrer Frauen und Töchter zu schlafen.“
Dass er diesem offenbar glücklich machenden Zeitvertreib bis zum Exzess nachging, haben Genetiker in den vergangenen Jahren detailliert nachgewiesen. Rund 16 Millionen lebende Menschen konnten als Nachfahren des Mongolen-Khans identifiziert werden. Obwohl Chronisten die Zahl der Haremsbewohnerinnen mit 500 angeben, dürften diese nur für einen kleinen Teil dieser gewaltigen Nachkommenschaft verantwortlich sein. Die meisten wurden wohl durch Vergewaltigungen gezeugt, eine Unsitte, mit der sich die Mongolen nicht nur Befriedigung verschafften, sondern sich auch die Überlebenden ihrer Eroberungszüge gefügig zu machen suchten.
Elf derartig erfolgreiche Abstammungslinien haben Wissenschaftler bislang ausgemacht. Alle stammen aus Asien, was sich allerdings vor allem damit erklärt, dass dort derartige Untersuchungen aufgesetzt wurden. Das genetische Erbe des Jurchen-Führers Giocangga (gest. 1571) tragen 1,5 Millionen lebende Männer in sich. Die im Vergleich zu dem Mongolenfürsten geringere Zahl dürfte mit dem Umstand zusammenhängen, dass das Nomadenvolk der Jurchen ein wesentlich kleineres Gebiet unter seine Gewalt brachte als die Mongolen. Allerdings gehörten Giocanggas Nachkommen zu den Begründern der chinesischen Qing-Dynastie, denen sich damit ein weites Fortpflanzungsfeld erschloss.
Die außerordentlichen Zeugungsleistungen von Dschingis Khan und Giocangga waren kein Zufall, sondern erklären sich aus ihrem sozialen Status. Das zeigt ein Projekt der Anthropologen Christopher von Rueden und Adrian Jaeggi, dessen Ergebnisse 2016 in der Fachzeitschrift „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) vorgestellt wurden. Die beiden Wissenschaftler von der University of Richmond und der Emory University in Atlanta analysierten 46 Studien über 33 heutige nicht industrielle Gesellschaften, in denen ein Zusammenhang zwischen Ansehen und Reproduktionserfolg untersucht wurde. Der Status wurde dabei mithilfe verschiedener Kriterien gemessen – dazu zählten körperliche Merkmale, Jagdfähigkeit, materieller Reichtum und politischer Einfluss.
Das verblüffende Ergebnis: Anders als bislang angenommen spielt der soziale Rang für den Fortpflanzungserfolg eines Mannes auch in nicht sesshaften Gesellschaften eine große Rolle. Bislang galt die Regel, dass in Gruppen von Jägern und Sammlern der Status eine weitaus geringere Bedeutung für die Familienkarriere hat als bei sesshaften Bauern und Tierzüchtern. Wir dürfen uns daher Dschingis Khan und Giocangga als Führer nomadisch lebender Verbände nicht als Einzelfälle, sondern als Beispiele eines Musters vorstellen.
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Der Unterschied zwischen den beiden Gesellschaftsformen liegt in der sozialen Differenzierung. Seit Homo sapiens vor 10.000 Jahren in Vorderasien mit dem Anbau von Getreide und dem Halten von Nutztieren begann, konnte er immer größere Ressourcen erwirtschaften. Diese ermöglichten Arbeitsteilung. Einige Mitglieder der Gemeinde konnten sich einem spezialisierten Handwerk widmen, andere dem Kult und wiederum andere der Organisation – und der Herrschaft. Männer mit höherem Status waren zum einen leichter als andere in der Lage, sich mit biologisch erfolgreichen – jungen – Frauen zu paaren, zum anderen konnten sie ihre Kinder besser ernähren.
Nomadische Gruppen entwickeln dagegen wesentlich flachere Hierarchien. Sie sind mehr auf Kooperation angewiesen, weisen weniger Besitzunterschiede aus. Hinzu kommt, dass ihre Mitglieder häufig wechseln, weil Exogamie (wie bei den Mongolen) die Regel ist, Männer sich ihre Frau(en) also außerhalb des Klans suchen müssen.
Während die Eliten der Sesshaften mit der Versorgung ihres Nachwuchses punkten konnten, bestätigt die Meta-Studie von Rueden und Jaeggi dagegen die Hypothese, dass der Überlebenserfolg von Nomaden-Häuptlingen vor allem auf deren Fähigkeit beruht, viele Kinder zu zeugen. Je erfolgreicher Dschingis Khan oder Giocangga gegen Rivalen oder Feinde zu Felde zogen, desto häufiger waren sie in der Lage, „auf den weißen Bäuchen ihrer Frauen und Töchter zu schlafen“.
Hinzu kommt ein weiterer Faktor. Dschingis Khan, der den Großteil seines Lebens auf höchst erfolgreichen Kriegszügen verbracht hat, die ihm ein unermessliches Reservoir an Sexpartnerinnen bescherten, war seinen Söhnen ein prägendes Vorbild. Bereits in ihrer Jugend erhielten die Prinzen einen eigenen Harem, den sie oft und gern besuchten. Allein Tushi, der älteste Sohn des Khans, soll es auf 40 legitime Söhne gebracht haben. In diesem „Verstärkungseffekt“ sehen Wissenschaftler einen entscheidenden Grund, warum sich die charakteristischen Merkmale des Y-Chromosoms des Mongolenherrschers bis heute in Millionen Männern nachweisen lassen.
Vor einigen Jahren verglichen Wissenschaftler Blutproben von allen Bevölkerungsgruppen, die heute innerhalb der Grenzen des mongolischen Weltreichs leben. Dabei zeigte sich, dass die Abstammungslinie mit Hilfer der Y-Chromosomen-Analyse sich sehr genau in die Zeit zurückführen ließ, in der Dschingis Khan mit der Eroberung seines Imperiums begann.
Dschingis Khan und Giocangga waren aber nicht die einzigen Männer in Asien, die ihr Erbgut in derart exzessiver Weise weitergaben. Forscher der Universität Leicester fanden 2015 heraus, dass neben den beiden Gewaltherrschern neun weitere Männer seit der Bronzezeit in der Lage waren, eine breite genetische Spur durch Asien zu ziehen. Einige von ihnen dürften ihre Karriere allerdings in sesshaften Kulturen gemacht haben.
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